Unser ganz eigenes Weihnachten

Publiziert am: 22. Januar 2021 von Jenny Sterchi

«Das ist mir alles zu altmodisch», sagte Mutter und schob den Christbaumschmuck weit weg von sich. «Kann ich ihn zum Spielen haben?», fragte Frieda erwartungsvoll. Die Siebenjährige hatte für beinahe alles Verwendung und freute sich auf die vielen Kugeln und Girlanden. Bei einigen Kugeln war bereits die Farbe abgeblättert und hier und da war Kerzenwachs auf die Zapfen getropft. Aber sie glänzten immer noch märchenhaft und das war alles, was Frieda interessierte.

Die Mutter zuckte die Schultern und antwortete: «Warum nicht? Ich würde die Sachen ja sonst doch nur wegwerfen.» Jubelnd trug Frieda ihren neu erworbenen Besitz in ihr Zimmer. Mutter suchte derweil im Internet nach neuem Schmuck für den Tannenbaum. Frieda, die sich mit dem glitzernden und glänzenden Schatz in ihrem Zimmer verschanzt hatte, überlegte lange, was sie nun mit all diesen herrlichen Dingen anfangen sollte. Sie konnte sich einfach noch nicht entscheiden, ob sie damit ihr Zimmer dekorieren sollte oder ob sie sie in ihrem Kaufmannsladen zum Verkauf anbieten sollte, neben all den Holzfrüchten und kleinen, bunten Kartonschachteln.

Es war Zeit für das Abendessen und Mutter wedelte freudestrahlend mit einem Papier umher, auf dem ihr die Bestellung des neuen Christbaumschmucks bestätigt wurde. Und Frieda berichtete ihrem Vater mit glänzenden Augen von ihren Kostbarkeiten, die sie heute erworben hatte. Friedas Eltern freuten sich über die Begeisterung der Tochter.

Zwei Tage später wurde der neue Christbaumschmuck geliefert. Mutter geriet ganz aus dem Häuschen vor Spannung und packte die Kartons sogleich aus. Plastikkugeln, in denen blaue Lämpchen blinkten. Glaskugeln, in die man Metallspäne gefüllt hatte. Tannenzapfen aus verrostetem Metall. Eine vier Meter lange Girlande, die in Regenbogenfarben schimmerte. Und eine Lichterkette, die mit gleissend weissem Licht den Raum ausleuchtete. Geblendet von den elektrischen Kerzen, schaute Frieda ihre Mutter fragend an: «Das hast du wirklich bestellt?» Mutter antwortete euphorisch: «Ja, mein Schatz, das ist endlich mal was anderes. Das ist jetzt ganz modern. Da liegen wir mit unserem Weihnachtsbaum dieses Jahr mal ganz im Trend.»

«Aber schön ist das nicht», entfuhr es Frieda. Mutter überhörte es einfach, strich ihrer Tochter sanft über die Haare und sagte: «Du wirst es auch schön finden, wenn es erst an unserem Tannenbaum hängt. Die Müllers nebenan und die Fabers von gegenüber haben den gleichen Schmuck.» Frieda verschwand grübelnd in ihrem Zimmer. «Warum hängt man so hässliche Sachen an einen Weihnachtsbaum?», fragte sie sich und hielt eine der ausrangierten roten Kugeln in der Hand.

Weil es Mutter nicht erwarten konnte, den Baum mit den neuen Dingen zu schmücken, wurde er in diesem Jahr bereits einen Tag vor Heiligabend in die Stube geholt. Als die ersten blinkenden Kugeln und rostigen Zapfen ihren Platz an den Zweigen fanden, sah Vater sehr skeptisch aus. «Und das gefällt dir tatsächlich?», fragte er und sah seine Frau zweifelnd an. «Das ist jetzt Mode. Die Müllers nebenan und die Fabers von gegenüber haben den gleichen Schmuck», liess sie nun auch Vater wissen. «Und es gefällt dir?», fragte er erneut. «Es ist mal was anderes. Und die Leute werden staunen», erklärte Mutter.

«Welche Leute?» Mutter streckte erklärend die Arme in Richtung Baum aus. «Na, die, die unseren Baum anschauen werden. Wie werden die staunen», sagte sie stolz. «Und dir gefällt das?», stellte Vater seine Frage zum dritten Mal. Da kam Frieda ins Zimmer und blieb abrupt stehen. «Das ist doch nicht unser Weihnachtsbaum», sagte sie enttäuscht und Papa stellte sich neben sie. Mutter sah den Baum prüfend an und wollte gerade wieder auf den Trend hinweisen, als Vater seine Hand um Friedas Schulter legte. «Aber wir wollen unter diesem Baum Weihnachten feiern, nicht die Leute, die ihn vielleicht mal ansehen. Unsere Familie feiert in dieser Stube das Weihnachtsfest und nicht die Müllers und auch nicht die Fabers oder Gott wer weiss wer», erklärte er, nicht laut, aber bestimmt. «Genau», pflichtete Frieda ihm bei. Mutter holte tief Luft und trat ein Stück zurück, denn die blinkenden Lichter machten sie ganz nervös. Sie schaute lange auf die gläsernen Kugeln und rostbedeckten Zapfen. Dann liess sie sich in den Sessel fallen und seufzte. «Ihr habt ja recht. Schön ist es wirklich nicht. Aber ich wollte mal was Neues, was Modernes, was zum Vorzeigen», stiess sie enttäuscht hervor.

«Lass uns doch einfach vorzeigen, was wir haben: nämlich eine tolle Familie, ein Zuhause, wo wir gerne sind und einen Weihnachtsbaum, der uns allen dreien gefällt. Oder gefallen dir die leuchtend roten Kugeln und glänzenden Zapfen und das warme Kerzenlicht tatsächlich nicht mehr?», fragte Vater und setzte sich auf die Lehne des Sessels. «Doch, natürlich. Aber wir haben den Christbaumschmuck schon abgegeben. Ich weiss nicht, ob wir ihn zurückhaben können», sagte Mutter und schaute Frieda, die auf der anderen Lehne des Sessels hockte, fragend an. «Na, gut», erwiderte Frieda sofort: «Ich hatte eh keinen Platz für die Sachen in meinem Kaufmannsladen.»